Liebe Gaia,
man kann die Mäuse in zwei große Gruppen einteilen, die echten oder Langschwanzmäuse und die Wühlmäuse. Bei den echten Mäusen entspricht die Schwanzlänge in etwa der Kopf-Rumpflänge, bei den Wühlmäusen hingegen ist der Schwanz deutlich kürzer. Man kann auf den Fotos sehr gut den langen Schwanz erkennen, demnach handelt es sich bei Deinem Mäuschen um eine Langschwanzmaus. Zu den Langschwanzmäusen zählen u.a. die Hausmäuse (die Wildform der Farbmäuse, die in der Heimtierhaltung beliebt sind), sowie in unseren Breitengraden die Waldmaus und die Gelbhalsmaus. Hausmäuse haben ein graubraunes Fell an ihrer Oberseite und ein nur wenig helleres Bauchfell, während Wald- und Gelbhalsmaus ein weißlich-graues Bauchfell haben. Ein besonderes Merkmal der Wald- und Gelbhalsmäuse sind die auffallend großen Augen. Also kann man Dein Mäuschen recht zuverlässig in die Gruppe der Wald- oder Gelbhalsmäuse einorden. Diese zwei Arten können u.U. nur schwer auseinandergehalten werden. Am ehesten gelingt das durch das Ausmessen der Hinterfußlänge, die bei Waldmäusen unter, bei Gelbhalsmäusen über 24 mm beträgt. Gelbhalsmäuse sind also größer als Waldmäuse.
Leider kann man Dein (vermutlich) Waldmäuslein jetzt im Winter nicht einfach in der Natur aussetzen. Die Maus hat keine Futtervorräte mehr und würde aus diesem Grund den Winter wohl nicht überleben. Das ist aber keine sehr gute Nachricht, da ich die Erfahrung gemacht habe, daß Waldmäuse in wochenlanger Käfighaltung Verhaltensstörungen entwickeln können. Die Mäuse wagen dann nicht mehr, den vertrauten kleinen Käfigraum zu verlassen. Am ehesten wäre eine Unterbringung in einer großen Voliere geeignet, die am besten draußen aufgestellt wird. Die Kälte macht den Mäusen offenbar wenig aus, solange sie genügend Futter und ein warmes Versteck zur Verfügung haben. Im Winter suchen Waldmäuse oft menschliche Gebäude auf. Es bestünde also auch die Möglichkeit, die Waldmaus in einem Stall (z.B. Pferdestall) freizulassen, falls der Besitzer dem zustimmt. Im Frühjahr ziehen die Waldmäuse dann in der Regel von selbst wieder aus und suchen sich einen neuen Lebensraum in der Natur.
Dieses Jahr habe ich ab dem Frühjahr ca. 90 Waldmäuse ausgewildert. Dafür habe ich einen geeigneten Lebensraum für die Waldmäuse ausgekundschaftet und die Mäuse in einer Auswilderungsbox mit einem Futtervorrat freigelassen. Meine Lieblingsmäuse bekommen im Winter alle 14 Tage "Bonusmaterial" in Form von Haselnüssen mit Schale und anderen geeigneten Futtervarianten geliefert. Dafür hatte ich am Auswilderungsort eine Tonröhre als Schutz vor Witterung und Nässe aufgestellt, die nun mit Futter gefüllt werden kann. Das ist dann schon die Luxusvariante einer Mausauswilderung. Eine der freigelassenen Mäuse war nach der Auswilderung bis in den Winter hinein bei meinen Besuchen am Auswilderungsort sogar auf meine Hand gekommen. Die Futterspenden für die Mäuse sind jedenfalls an allen Auswilderungsstellen schon am nächsten Morgen vollständig abgeräumt.
Nun zu Deinen grundsätzlichen Fragen. Es ist richtig, daß Mäuse häufig sehr revierbezogen sind. Sie kennen ihren Lebensraum sehr gut und haben dadurch einen Überlebensvorteil. Die Revierinhaber kennen alle guten Futterplätze ebenso wie notwendige Fluchtwege sehr gut. Oft leben Mäuse in Familienverbänden zusammen, zumindest tolerieren sich die verwandten Tiere eher gegenseitig, als revierfremde Tiere. Es ist aber nicht so, daß revierfremde Tiere überhaupt keine Chance hätten, sich in eine andere Gruppe zu integrieren. Selbst bei meinen (damals) teiweise freilaufenden Farbmäusen konnte ich beobachten, wie es Mäuse durch Beharrlichkeit regelmäßig geschafft haben, in einem Gehege mit fremden Mäusen akzeptiert zu werden.
Auch in der Natur werden naturgemäß Angehörige einer Mäusegruppe vertrieben. In der Regel sind das die jungen Böckchen, die sich dann ein eigenes Revier suchen müssen. Bei meinen Waldmäusen konnte ich beobachten, daß die Mutter ihre Jungen, wenn sie selbständig waren, geradezu wie eine Furie gejagt und sogar gebissen hat. Interessanterweise haben sich die Mäuse zu einem späteren Zeitpunkt wieder vertragen und teilweise sogar eine gemeinsame Schlafstätte bezogen. Aber grundsätzlich kann man sagen, daß das Abwandern von Tieren aus dem vertrauten Lebensbereich in der Natur einen Normalzustand darstellt und dazu dient, eine Überpopulation am Ursprungsort zu verhindern und ebenso dazu, neue Lebensräume zu erobern.
Das Risiko gefressen zu werden oder aus anderen Gründen umzukommen, scheint mir aber für die Mäuse größer zu sein, die ihren vertrauten Lebensraum verlassen.
Wir Menschen neigen dazu, andere Lebewesen "beschützen" zu wollen. Wir beschützen, füttern und lieben unsere Haustiere. Aber das sind Tiere, die mit uns zusammen leben. Sie teilen unseren Lebensraum, weil wir sie in unser Leben geholt haben.
Das Leben der Wildtiere verläuft nach anderen Gesetzmäßigkeiten. Sie werden von niemandem beschützt, nicht gefüttert und wenn sie sterben, merken wir das in der Regel nicht einmal. Wildtiere übernehmen die Verantwortung für ihr Leben selbst. Sie leben und sterben sozusagen in Eigenverantwortung. Das mag uns manchmal grausam erscheinen. Aber ich denke, das ist genau das, was diese Tiere wollen. Ein gefangenes Wildtier ist uns nicht dankbar für unsere Versorgung, sondern es fühlt sich eingesperrt und seiner selbstbestimmten Lebensweise beraubt. Es wird jede, auch nur die geringste Chance nutzen, sich aus dieser Lage wieder zu befreien. Das Wildtier will nicht beschützt oder versorgt werden. Es will von uns auch nicht geliebt werden. Es will frei sein, koste es was es wolle, notfalls auch das eigene Leben.
Wenn wir denken, daß wir dem Wildtier etwas "Gutes" tun, heißt das also nicht, daß das von dem Tier auch so empfunden wird.
Das, was ein Wildtier will, ist frei sein.
Ich denke, man sollte diesen Willen auch respektieren.
Die Maus einfach wieder "rauszusetzen", finde ich allerdings auch nicht besonders fair. Schließlich sind in vielen Fällen wir Menschen mit unserem Bedüfnis, kleine Raubtiere als Haustiere zu halten (also Katzen) mitverantwortlich dafür, das das Wildtier aus seinem Lebensraum herausgerissen wurde. Also ist meiner Meinung nach das Mindeste, was wir nun tun sollten, dem Wildtier bei seiner Freilassung möglichst günstige Bedingungen zu bieten. Dazu gehören die Überlegungen, welcher Lebensraum für das Wildtier geeignet ist und Überlegungen, wie man die Chancen für eine Neuansiedlung in diesem Lebensraum für das Tier verbessern könnte.
In Deinem Fall gibt es jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder kannst Du die Maus in einem möglichst großen, naturnah eingerichteten Gehege überwintern lassen und sie im Frühjahr in einen geeigneten Lebensraum entlassen, am besten mit einer Auswilderungsbox plus Futtervorrat. (Ich hatte einen Thread angefangen zur Waldmausauswilderung. Leider sind die Fotos nach dem Forenabsturz aus dem Text geflogen. Trotzdem der Link:
https://forum.mausebande.com/index.php?threads/tipps-zur-waldmausauswilderung.42045/ )
Die andere, bessere Möglichkeit wäre einen Pferdestall zu finden, in dem man die Maus freilassen kann. Sie wird dann für sich selbst sorgen und versuchen, sich in ihrem neuen Lebensraum durchzusetzen.
Liebe Grüße
Fufu