Blödes Mistvieh

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Einer achtbeinigen Gefährtin zum Abschied. Einer treuen Untermieterin, die wie keine ihrer Art zuvor in unserem Haus geduldet und geschätzt war. Der Hüterin unseres Vorratskellers, Verteidigerin des Marmeladenregals, Wächterin des Tiefkühlschrankes und Herrscherin über die Betondecke - adieu!


Blödes Mistvieh bezog, noch namenloses Übel von Hausspinne, vor über 3 Jahren unseren Keller. Der aufziehende Winter trieb sie ins Haus. Ihr erstes Domizil war das Lüftungsgitter des Tiefkühlschrankes, und ihr Netz erstreckte sich über den halben Vorratskellerboden. Wann immer wir den Raum betraten, wuselte ein kleines schwarzes Ungeheuer von überall her zurück zwischen die Ritzen des Gitters und "beäugte" von dort aus misstrauisch unser Tun in "ihrem" Habitat. Wir gaben unser möglichstes, ihre ausufernde Netzkonstruktion nicht allzu sehr zu betreten, und sie reinigte derweil unseren Vorratskeller aufs Gründlichste von allem, was bislang am Boden kreuchte und fleuchte.

Im folgenden Sommer war sie verschwunden. Dachten wir jedenfalls, bis sich herausstellte, dass das alternde Sperrmüllregal nun nicht mehr nur die Marmeladenvorräte beherbergte. Eine deutlich gewachsene achtbeinige Dame residierte nun dort, und betrachtete insbesondere die Rabatte der Kirschmarmeladen als ihr Eigen. Ich liebe Kirschmarmelade - in jenem Jahr kam ich jedoch nur sehr selten in den Genuss. Und die Grande Dame erhielt ihren Namen: Blödes Mistvieh. So lästig sie war, brachte es doch keiner mehr übers Herz, sie zu verbannen - wer erstmal den Waschbetonboden gesäubert hat und dann auch noch einen Faible für Vaters selbstgekochte Marmeladen offenbart, hat sich ein gewisses Bleiberecht gesichert. Mehr noch - wer es versteht, in unserem spitzmausfrequentierten Keller über Monate hinweg aufs Beste zu gedeihen, ohne zwischendurch gefressen zu werden, hat eine gewisse Achtung verdient.

Dieser Tatsache schien sich Blödes Mistvieh inzwischen wohl bewusst zu sein. Als kleines Zugeständnis an ihre menschlichen Mitbewohner räumte sie den Platz zwischen den Marmeladengläsern und zog ans halboffene Fenster um. Dies war wohl eine Traumumgebung für jede Hausspinne: ein großes Außennetz zwischen den Efeuranken am Haus, ein warmes, wind- und wettergeschütztes Plätzchen am Abwasserrohr für den heimeligen Wohntrichter, dazwischen ein praktisches Fenstergitter zum Schutz vor gefräßigen Vögeln. Eine ganze Batterie an Häutungen zeugte von einem Leben am Rande des Überflusses.

Was könnte man sich mehr wünschen? Natürlich - Nachwuchs! Und der folgte auch prompt. Der siegreiche Zeuger floh nach verrichtetem Werk zwei Stockwerke höher, wo er sich stolz den menschlichen Anwohnern präsentierte - und unzeremoniell ins Freie befördert wurde. Das Eipacket der Dame im Vorratskeller war eher zu erahnen als zu sehen. Eine Woche nach dem Schlupf konnte allerdings kein Zweifel mehr bestehen - der Raum war fest in Arachnidenhänden. Nachdem allerdings eine Kompanie enthusiastischer Miniatur-Mistviecher vom Vorratsraum aus in den restlichen Keller zu expandieren begann, wurde es den anwesenden Zweibeinern doch etwas zu bunt. Es folgte eine kleine Umsiedlungsaktion vom Standort "Keller" zu den etwas nahrhafteren Standorten "Efeugestrüpp am Haus", "Efeu am Nussbaum" und "Efeu am war-mal-ein-Brunnen".

Fortan residierte Blödes Mistvieh wieder als alleinige Herrscherin über den Vorratsraum, und erweiterte ihr fädiges Reich allmählich über die gesamte Decke. Da war sie wieder, die gute alte Gänsehaut. Diesmal allerdings von oben: wann immer man den Raum betrat, wuselte ein nun deutlich größerer schwarzer Schatten an der Decke entlang. Allerdings nicht mehr ganz so schnell wie früher: Blödes Mistvieh hatte sich inzwischen wohl mit ihren zweibeinigen Mitbewohnern abgefunden und machte sich nun nicht mehr die Mühe, gänzlich im Versteck zu verwinden. Ein paar Schritte, vielleicht einen Meter, in die richtige Richtung zu laufen, genügte voll und ganz. Sie war zu einer "Haus-Spinne" im wahrsten Sinne des Wortes geworden.

Kein Glück währt ewig. Heute morgen fand ich, was zunächst wie eine weitere Häutung wirkte, sich bei näherem Hinsehen aber als die Besitzerin der Haut selbst erwies. Da lag Blödes Mistvieh, tot und zusammengekrumpelt - auf einem Glas Kirschmarmelade.


Requiescat in pacem. Memoria sempiterna vivet.
 

kimba

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Lebewohl blödes Mistvieh *Abschied*

Und wirklich, Respekt für die Zweibeiner... Ich könnte es nicht ertragen, dass so ein riesen Ding zwischen meinen Vorräten wuselt... *schäm* Bei mir fliegen die Tiere gnadenlos in den Garten....
 
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Sie war auch eine Ausnahme. Wer sich aus ihrer Verwandtschaft bei uns in den Keller verirrt, findet entweder von allein wieder raus oder wird von den Spitzmäusen gefressen, die sich ebenso häufig dort unten tummeln. Was immer wir tun, um die Kellertür abzudichten, sie nagen sich immer wieder durch. Diese Mini-Nahrungskette hat aber durchaus Vorteile: die Mäuse halten uns den Keller relativ spinnenarm (zumindest, was diese großen haarigen Monster betrifft), und wir müssen nur die Mäuse wieder rausfischen.

Deshalb war Blödes Mistvieh so bemerkenswert: sie hat jeglichen Mäusen getrotzt.
 

stefanie

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ein würdiger Tod, das Marmeladeglas zur letzten Ruhe zu wählen....
R.I.P.

und eine tolle Geschichte!

(gönn dem Rechner mal öfter Pause, "Geschichten statt Statistiken!")

* mir latscht eine Kollegin gelegentlich durchs Wohnzimmer, aber da wir weder dort noch im Keller Marmeladegläser haben........ (wohnen die meisten, ca 20, in der Garage)*
 

sajano

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Schön zu lesen dass es noch mehr "verrückte" gibt *freu* bei uns haben Spinnen auch immer Bleiberecht

Blödes Mistvieh, machs gut im Spinnenhimmel *Abschied*
 
S

Scotchbride

Guest
Wirklich toll geschrieben, es macht immer wieder Spaß deine Tiergeschichten zu lesen =)

Mich erinnert "Blödes Mistviehs" Story ein wenig an die schwarzen dicken Langbeine die damals im ehemaligen Schweinestall meiner Großeltern lebten. Sie hatten dort ihre Kaninchen und Hasen untergebracht und ich war als Kind natürlich schon auf alles scharf was plüschig war und was man füttern und streicheln konnte - nur dazu musste man eben auch an den Stellen mit den verwebten Ecken vorbei, aus deren Löcher riesige schwarze Beine lugten *brrrr*
aber auch diese Kreaturen hatten ein Recht aufs Dasein und durften bis zum Umbau des Stalles zum Fahrrad- und Klamottenschuppen in unzähligen Generationen ein wahrhaft fliegenreiches, besenfreies und somit gemütliches Spinnenleben führen ;)
 

Metla

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Unglaublich, jetzt treibt mir auch schon das Ableben einer Spinne Tränen in die Augen... *seufz*
Mach`s gut, Mistvieh... *Abschied*

Können Spinnen wirklich so alt werden...? :unsure:
 
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Hab mal bei Wikipedia nachgesehen: 2-3 Jahre sind wohl Standard für Hausspinnen, in Einzelfällen können sie auch älter werden. Hatte mich auch gewundert...
 
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Bei meiner Spinnenphobie hätte das "Mistvieh" wohl eine wesentlich kürzere Lebenserwartung gehabt o_ô. Na zum Glück is die nich bei mir, sondern bei dir rumgekreucht ^^

Fly, Spiderdestroyer
 
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Was war sie den für eine?
Ich finde es ja auch richtig traurig, aber sehr toll geschrieben... LOB ...
 
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