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Succubius Eißpin – Die Maus, die überlebte
Als ich Anfang September einen Anruf von den Tierfreunden Münster erhielt, dass ein von ihnen vermittelter Kater eine weiße Maus gefangen hat, wusste ich noch nicht, welch traurig-schöne Geschichte mich erwarten würde. Ich habe das unkastrierte Böckchen direkt am nächsten Tag zu mir nach Hause geholt und ihn auf den Namen „Succubius Eißpin“ nach ei-ner Romanfigur von Walter Moers getauft; weil er so winzigklein war, habe ich sein Alter auf höchstens drei bis vier Monate geschätzt.
Natürlich habe ich mich gefragt und frage mich noch heute, wie Succubius wohl vor seiner Begegnung mit dem Kater gelebt hat. Die Besitzerin des Katers äußerte die Vermutung, dass er wohl absichtlich an den Kater verfüttert werden sollte…
Schnell fiel mir auf, dass Succubius bestimmte Fähigkeiten fehlen, die eigentlich jede Maus beherrscht. Es handelte sich dabei um Dinge, die Succubius in seinem vorherigen Leben nie-mals kennen lernen durfte, zum Beispiel dauerte es mehrere Wochen, bis Succubius heraus-bekommen hat, wie man einen Sonnenblumenkern öffnet (das ist ein völlig gängiges Leckerli für Mäuse). Er war anfangs sehr unsicher beim Klettern auf Ästen und Rinde und fiel mir auch dadurch auf, dass er überhaupt keine natürliche Scheu vor Menschen besitzt. Wahr-scheinlich wurde Succubius in einer sehr kleinen Box ohne Möglichkeiten zum Spielen und Klettern gehalten (zwei Mäuse sollten allermindestens 80x50x50cm Platz haben!).
Mein ursprünglicher Plan, den ich sofort gefasst hatte, als ich Succubius zum ersten Mal sah, war es, ihn so schnell wie möglich kastrieren zu lassen, damit er ein glückliches Mäuseleben in Gesellschaft verbringen kann. Dies ist ohne eine Kastration nicht möglich, denn Mäuse-böckchen beißen andere Mäusemännchen aufgrund ihres stark ausgeprägten Revierverhaltens tot. Setzt man ein Mäuseböckchen zu einer Mäusedame, kann dieses Pärchen innerhalb eines Jahres annähernd eine Millionen Kinder, Enkel und Urenkel zur Welt bringen (diese Berech-nung beruht auf der Tatsache, dass eine schwangere Maus etwa drei Wochen lang die Jungen austrägt und sofort nach dem Wurf bereits neu gedeckt werden kann; die jungen Weibchen sind nach ca. 30 Tagen selbst geschlechtsreif).
Dieser Plan der schnellstmöglichen Kastration ließ sich leider nicht verwirklichen. Succubius zeigte bereits in der Transportbox auf dem Weg zu mir Anzeichen einer starken Atemwegser-krankung. Es klang wie ein Quietschen oder wie ein verstopfter Wasserhahn; und dabei ma-chen Mäuse normalerweise keine Geräusche! Außerdem hatte Succubius große Löcher im Fell, das verglichen mit dem glänzenden Fell meiner anderen Mäuse struppig und glanzlos wirkte. Zu meiner großen Erleichterung ließen sich die Löcher im Fell jedoch mittels einer Behandlung gegen Milben und Pilze innerhalb von wenigen Wochen kurieren. Dadurch ging es Succubius einen Moment lang etwas besser, er nahm sogar leicht zu. Doch jedes Mal, wenn ich sein Wasserhahnröchelknatterquietschgeräusch hörte, griff eine kalte Hand nach meinem Herzen, denn trotz zwei verschiedener Antibiotika besserte sich seine Atemwegser-krankung überhaupt nicht. Außerdem litt Succubius zusehends unter seiner Einsamkeit. Es war schwer, Succubius in seiner Unterkunft zu beobachten, wie er einsam hin und her wan-derte, während wenige Meter weiter eine friedliche Mäusegruppe aus mehreren Weibchen und einem Kastraten glücklich zusammen spielten, sich gegenseitig putzten und wärmten.
Einsamkeit kann bei Mäusen, die absolute Gruppentiere sind und bei denen Einzelhaltung, anders als bei Hamstern, als Einzelhaft bezeichnet werden sollte, in Lethargie resultieren. Le-thargie kann massiver Unterkühlung und Kreislaufproblemen führen, an denen Mäuse letzt-endlich sterben können. Die Lethargie kommt langsam, das Wesen verändert sich, die Maus ist kaum zu sehen und fast immer inaktiv, jeden Tag sieht man sie etwas seltener. Der gesam-te Vorgang dauert Wochen. Genau dies passierte bei Succubius.
Hilfe für diese ausweglos scheinende Situation kam von für viele vielleicht unerwarteter Sei-te. Im Internet gibt es ein tierschutzorientiertes Forum, die Mausebande (
Mausebande Forum - Farbmäuse, Rennmäuse und andere Mäusearten), in welchem sehr erfahrene MäusehalterInnen andere bera-ten. Dort werden außerdem Tierschutznotfälle vermittelt und man findet dort das so genannte Wiki, in welchem alle wichtigen Informationen zu Mäusen gesammelt werden.
In diesem Forum habe ich immer wieder über Succubius geschrieben und mir viele Tipps von anderen HalterInnen geben lassen. Dies führte zu den zwei Ereignissen, die Succubius’ Ge-schichte zum Guten wandten. Zum einen traf ich dort eine Halterin aus Bremen, die eine Pfle-gestelle für das dortige Tierheim betreibt. Sie vermittelte mir zwei schon geraume Zeit kast-rierte Farbmausopis, Jack und Walter, die ich erfolgreich mit Succubius vergesellschaften konnte und mit denen er bis zum heutigen Tage glücklich zusammenlebt. Zum anderen traf ich einen Engel aus Schleswig; eine Frau, die Hunderte von Mäuse aufpäppelte, kastrieren ließ, vermittelte, schlicht rettete. Sie half mir per Telefon bei der Vergesellschaftung (da diese zwischen Böckchen und Kastraten sehr schwierig ist) und hörte dabei Succubius’ laute Atem-geräusche. Ihr damaliger Eindruck erwies sich als richtig: Succubius hatte aufgrund eines Herzfehlers Wasser in der Lunge. Nicht nur die Diagnose, auch das Heilmittel hatte sie parat; es handelt sich dabei um ein homöopathisches Mittel für Herz und Kreislauf. Dieses Mittel bekommt Succubius nun jeden Tag und er kann damit endlich mit weit weniger Beschwerden leben und die Gesellschaft seiner beiden Freunde genießen.
Succubius ist bis heute nicht gewachsen; er ist noch immer so winzigklein wie zu Beginn sei-ner Zeit bei mir. Deswegen kann ich überhaupt nicht einschätzen, wie alt er tatsächlich ist. Gegenüber einer erwachsenen Maus sieht er aus wie ein dürrer Teenager. Er wird immer mein kleiner Mickerling bleiben, doch ist er nun mit Jack und Walter in ihrem großen Käfig mit vielen Möglichkeiten zum Spielen, Buddeln, Klettern und Verstecken, weitestgehend unge-stört von den Menschen so glücklich wie eine Maus nur sein kann.