Joringel - oder die Geschichte
wie man mit einer Maus schmust
30.11.2015
Wer glaubt, daß man mit einer Maus nicht „schmusen“ kann, der irrt.
Auch ich hing lange diesem Irrglauben an, bis ich endlich eines Besseren belehrt wurde.
Wem aber könnte dies leichter gelingen, als – einer Maus!
Sie hört auf den verwunschenen Namen Joringel und war, als ich ihre Bekanntschaft machen durfte, bereits ein Jahr alt. Gemeinsam mit ihrer Schwester Jorinde, die leider zwei Monate später unter nicht geklärten Umständen verstarb, zog Joringel zu drei friedlichen Agouti-Kastraten, welche sie auf ihre unnachahmlich fürsorgliche Weise sogleich unter ihre „Fittiche“ nahm, in mein Mäuseheim.
Joringel bei unserer ersten Begegnung
Joringel im Seidenfell
Wäre sie ein Mensch, so würde man sagen, niemals ein böses Wort von ihr gehört zu haben. Da es sich aber um eine Maus handelt, bleibt zumindest festzustellen, daß sie niemals auch nur ein Schnurrhaar mißbilligend einer anderen Maus gegenüber verzog. Selbst als sie einmal überraschenderweise von einer angriffslustigen Mäusedame gebissen und durchaus unfreundlich drei Mal in ihren weichen, runden Bauch geboxt wurde, wich Joringel nur kurz zurück um sofort wieder Schnauzenkontakt zu der Angreiferin zu suchen, mit einem Gesichtsausdruck, der – wollte man es menschlich beschreiben – eher Verwunderung als auch nur den Anflug einer Gekränktheit wiederspiegelte.
Sie ist rund, diese Maus. Rund und weich in ihren Konturen, „rund und weich“ in ihrem Gemüt. Von ihr lernte ich die feine Kunst, wie es gelingen kann, mit einer Maus zu schmusen.
Joringel bei einem ihrer ersten Ausflügen im Holzkistenreich.
Joringel als einjährige Mausedame, noch nicht ganz so „rund“, dafür klettergewandt.
Joringel auf dem Gipfel und sichtlich zufrieden mit sich selbst.
Bedächtig und nicht ohne Vorsicht, doch frei von Angst begegnet Joringel dem staunenden Menschen, der ihre unaufdringliche Freundlichkeit schon bald als ein unerwartetes Geschenk zu würdigen weiß.
Auf der Umrandung ihres Geheges, die wie eine „Flaniermeile für Mausepfoten“ den oberen Rand des Mäuse-Aquariums abschließt, nähert sich die Maus, den Bauch leicht an den Boden gedrückt, behutsam dem Menschengesicht, das sie – aufgrund der nun fehlenden Distanz und dem auf wenige Zentimeter begrenzten Bereich ihres Scharfsehens - als Ganzes gar nicht erfassen kann. Voller Zuversicht und offenbar unfähig, „Unbill“ zu erwarten, hebt Joringel ihren Kopf und beginnt mit zitternden Schurrhaaren das warme Gesicht vor ihr zu untersuchen. Es kitzelt und ich schließe die Augen.
So fein fühlen sich die Härchen an, die nun meine Haut berühren. Nach einer Weile ist ein winziger feuchter Punkt zu spüren, der nun Millimeter für Millimeter über jeden erreichbaren Teil meiner Haut hinweg wandert: Die Mäusenase! In Zeitlupe senke ich ein wenig mein Kinn. Der kleine, feuchte Punkt berührt meine Unterlippe. Nach einer Weile scheint die Maus sich aufzurichten, denn kleine stumpfe Nägelchen krallen sich an meiner Unterlippe fest, um nun mit der Mäuseschnauze auch die Menschennase erreichen zu können. „Du wirst meine Freundin sein, liebste Maus!“
Joringel im Herbstblättermeer
Ähnlich wie Hunde berühren auch befreundete Mäuse sich gegenseitig sanft an der Schnauze, wenn ihre Wege sich kreuzen. Dieser liebevolle Gruß auf Mäuseart läßt sich selbst mit der vergleichsweise großen Menschennase bewerkstelligen. Sobald ich Joringel meine Nase zum Gruße anbiete, werde ich zart an dieser bestupst.
Vorsichtig hauche ich meine Mäusefreundin an. Jetzt stellt sie ihre kleine Pfote auf den Pullover, den ich im Arm halte und der das Begegnungsfeld der Aquarien-Umrandung um eine weiche Ebene erweitert. Komm, liebe Maus!
Bedächtig bewegt sich die Mäusenase über den weichen Pullover. Die zweite Pfote setzt über. Länger und länger streckt sich der warme, runde Körper, bis sich auch die dritte Pfote vom vertrauten Untergrund gelöst hat. Noch ein Pfötchen und Joringel bewegt sich auf dem nachgiebigen Untergrund auf meinen Hals zu. Wieder sind die feinen Schnurrhärchen zu spüren. Jorinde hat es sich in der Kuhle unter meinem Kinn gemütlich gemacht. Doch was ist das für eine Berührung an meinem Hals? Wie kleine schnelle Kontakttupfen fühlt es sich an – Joringel scheint zu versuchen, meinen Hals zu putzen! Wieder bewegt sich der runde Mausekörper ein wenig vorwärts bis die Maus an den Rand meines Unterarms gelangt ist. Seidenweiches silbriges Fell – ich kann nicht anders, als dieses Seidenfell mit meinen Lippen zu berühren. Warmer Atem umweht den Mäusekörper und der Mund streicht vorsichtig über das runde Mausehinterteil. Joringel scheint die Liebkosung zu genießen – Köpfchen, Rücken, Hinterteil und wieder von vorne – wie eine Katze drückt mir die Maus ihren Kopf gegen die schmeichelnden Lippen. So warm und weich der Mäusekörper, so lebendig das kleine Tier.
Sie duftet süß.
Sicher über Minuten sind Mensch und Maus mit gegenseitiger sanfter Liebkosung beschäftigt und die Maus wirkt dabei nicht weniger angenehm überrascht, als ihr menschliches Gegenüber.
Joringel im Grasballen-Glück.
Wir haben das Ritual in gegenseitigem Einverständnis beibehalten. Einige Male in der Woche treffen Mensch und Maus auf diese Weise zu einer Schmusestunde zusammen. Falls ich einmal zulange auf mich warten lasse, entdecke ich Joringel bestimmt bald auf dem Mauseparkour, wie sie ratlos umherwandert und auf ihre Menschenfreundin zu warten scheint.